Das Wollekrankenhaus in Delmenhorst war eine bedeutende medizinische Einrichtung der Norddeutschen Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei. Es dokumentiert die fortschrittliche Sozialfürsorge eines expandierenden Industrieunternehmens Ende des 19. Jahrhunderts. Die Geschichte dieses Krankenhauses zeigt exemplarisch, wie Arbeitgeber auf die gesundheitlichen Bedürfnisse ihrer wachsenden Belegschaft reagierten.
Entstehung und Notwendigkeit
Die Norddeutsche Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei (NW&K) in Delmenhorst wurde 1884 gegründet und expandierte in den folgenden Jahren erheblich. Die Belegschaft wuchs von etwa 100 Mitarbeitern im Gründungsjahr auf beeindruckende 4.500 Beschäftigte bis zum Jahr 1930. Diese signifikante Expansion schuf einen dringenden Bedarf an adäquater medizinischer Versorgung für die Mitarbeiter und ihre Familien.
Zu Beginn existierte auf dem Werksgelände lediglich eine Sanitätsstube, in der ein Sanitäter Verletzte behandelte. Mit der Einstellung von Dr. med. August Hempel als Fabrikarzt im Jahr 1888 verbesserte sich die medizinische Betreuung, blieb jedoch weiterhin unzureichend für die wachsende Belegschaft.
Gründung des Werkkrankenhauses
Ein wesentliches Problem bestand darin, dass die Arbeiter bei Arztbesuchen während der regulären Sprechstunden viel Zeit durch Wartezeiten verloren, was zu Lohneinbußen führte. Wie in der Schrift „Die Delmenhorster Wohlfahrts-Einrichtungen der Norddeutschen Wollkämmerei und Kammgarnspinnerei“ von 1906 dokumentiert wurde, konnten viele Arbeiter den Arzt kaum zu für sie passenden Zeiten aufsuchen.
Zunächst bot Dr. Hempel in seinem Wohnhaus am Privatweg eine stationäre Versorgung in sechs Zimmern an. Diese Kapazität erwies sich jedoch schnell als unzureichend. Auch das städtische Peter-Elisabeth Krankenhaus konnte mit seinen zwei Krankensälen den Bedarf nicht decken.
Aus dieser Notwendigkeit heraus wurde 1890 ein Werkkrankenhaus für die Beschäftigten und ihre Angehörigen an der Stedinger Straße Nr. 10 eingerichtet. Die Initiative lag im direkten Interesse des Fabrikherrn Lahusen, der eine optimale Gesundheitsversorgung seiner Arbeitskräfte sicherstellen wollte, damit diese schnell wieder arbeitsfähig wurden.
Ausstattung und Entwicklung
Das Wollekrankenhaus war für die damalige Zeit vorbildlich ausgestattet. Es verfügte über eine Ambulanz, ein Operationszimmer und ein Röntgengerät. Dadurch wurde die Erstversorgung der Unfallopfer erheblich verbessert. Auch größere Operationen konnten ohne Hinzuziehung eines Spezialisten durchgeführt werden.
Anfang des 20. Jahrhunderts konnten 65 Patienten aufgenommen werden. Es gab Zimmer mit 2 bis 5 Betten. Für 12 kranke Kinder war ein eigener Krankensaal vorhanden mit einer großen, beheizten Veranda. Im Sommer konnten sich die Rekonvaleszenten im Krankenhausgarten in Liegehallen erholen. Für Patienten mit ansteckenden Krankheiten wurde ein eigenes Isolierhaus mit 6 Zimmern eingerichtet.
Im Jahr 1925 hatte das Krankenhaus über 100 Betten. Die Patienten wurden von dem Arzt, einem Assistenzarzt, einem Krankenwärter und von 5 Oldenburger Diakonissen betreut.
Finanzierung und soziale Bedeutung
Der stationäre Aufenthalt, die ärztliche Behandlung und die Heilmittel waren für alle Betriebsangehörigen und ihren Familien kostenlos. Das Krankengeld betrug die Hälfte des durchschnittlichen Tageslohnes. Finanziert wurde die Krankenversorgung durch die Betriebskrankenkasse. Die Unfallversicherungsbeiträge wurden ausschließlich von der NW&K entrichtet.
Im 1. Weltkrieg wurde das Wollekrankenhaus ab 1915 auch als Lazarett für Kriegsverwundete genutzt, was seine gesellschaftliche Bedeutung über den Betrieb hinaus unterstrich.
Leitung und Schließung
Im Jahr 1911 trat Dr. med. Kirchberg die Nachfolge von Dr. med. Hempel an und war bis zu seinem Tod 1944 als Betriebs- und Vertrauensarzt im Werk tätig.
Das Wollekrankenhaus wurde 1928 geschlossen, da mit dem Bau der städtischen Krankenanstalten an der Wildeshauser Straße ein großes und modernes Krankenhaus für die gesamte Delmenhorster Bevölkerung zur Verfügung stand. In dem Gebäude an der Stedinger Straße entstanden Werkswohnungen. Heute ist eine Gaststätte in dem Haus.