Die Nordwolle in Delmenhorst war ein bedeutendes Industriezentrum der Wollverarbeitung. Ohne eigene Schafhaltung bezog das Unternehmen Rohwolle von bis zu 5 Millionen Schafen weltweit. Die Wolle stammte hauptsächlich aus Australien, Neuseeland, Argentinien und Südafrika und gelangte über den Bremer Hafen in die Lager nach Delmenhorst.
Der Produktionsprozess
Die Wollverarbeitung in der Nordwolle durchlief mehrere aufeinander abgestimmte Produktionsschritte. Jeder dieser Schritte erforderte spezialisierte Maschinen und qualifizierte Arbeitskräfte. Die Effizienz dieses durchdachten Prozesses ermöglichte die Herstellung hochwertiger Wollprodukte in industriellem Maßstab.
Sortierung
Die Rohwolle-Ballen, die teilweise über 250 Kilogramm wogen, wurden bis in die 1970er Jahre von Hand nach Feinheit, Länge und Gleichmäßigkeit sortiert. Im Reißwolf wurden sie aufgelockert und von gröbstem Schmutz befreit, bevor sie zur Wäscherei gelangten.
Wäscherei
In großen selbständig arbeitenden Waschmaschinen, den sogenannten Leviathanen, wurde die Rohwolle gereinigt. Da sie bis zu 60% Verunreinigungen wie Wollfett, Sand und Kot enthielt, erfolgte die Reinigung in mehreren Arbeitsschritten mit warmem Seifenwasser (bis 58°C). Anschließend trocknete man die Wolle in großen Trockenmaschinen und bereitete sie mit einer Schmälze aus pflanzlichen oder tierischen Ölen für die Weiterverarbeitung vor.
Kämmerei
Die gewaschene Wolle wurde von Hand den Krempelmaschinen zugeführt. Diese bestanden aus großen, gegeneinander laufenden Walzen mit tausenden feinen Drahtstiften. Der Prozess diente dazu, die Wollflocken schonend auseinanderzuziehen, Verunreinigungen wie Kletten und Gräser zu entfernen und kürzere Fasern abzusondern. Gleichzeitig wurden die Fasern teilweise parallel gelegt und zu einem Wollflor, dem Krempelband, verdichtet.
Danach sorgten Streckmaschinen für die vollständige Parallellegung der Fasern durch Strecken und Doublieren mehrerer Krempelbänder. Das daraus entstehende Band wurde dann auf Kammmaschinen ausgekämmt, wodurch lange Wollfasern von kurzen getrennt wurden. Als Hauptprodukt entstand der Kammzug aus den längeren Fasern.
Die kürzeren Fasern, die sogenannten „Kämmlinge“, wurden für die Streichgarnspinnerei verwendet. Nach weiteren Streck- und Vergleichmäßigungsprozessen war die Wolle für das Spinnen vorbereitet.
Färberei
Je nach Kundenwunsch konnte der Kammzug gefärbt oder als „Rohweiß“ weitergeleitet werden. Bei ungefärbtem Kammzug erfolgte das Färben später teilweise als Garn.
Spinnerei
In der Vorspinnerei wurden die Kammzugbänder durch wiederholtes Doppeln und Strecken auf den erforderlichen Grad an Gleichmäßigkeit und Feinheit gebracht. Das Ergebnis war ein durch „Nitscheln“ oder „Drehen“ verfestigtes dünnes Faserband, das Vorgarn.
Die Feinspinnmaschinen erzeugten das Kammgarn, indem das Vorgarn verzogen, gedreht und auf Spinnhülsen aufgewickelt wurde. Die Drehung verlieh dem Garn die gewünschte Festigkeit. Je nach gewünschtem Endprodukt kamen Wagenspinner (Selfaktoren) und Ringspinnmaschinen für Webgarne oder Flügelspinnmaschinen für Strickgarne zum Einsatz.
Facherei und Zwirnerei
In der Facherei wurden zwei oder mehrere Fäden zusammengelegt, um eine Vorlage für die Zwirnerei zu schaffen. In der Zwirnerei wurden diese Fäden auf Ringzwirnmaschinen zu einem festeren Faden zusammengedreht.
Die Nordwolle repräsentierte einen industriellen Prozess, der vielfältige maschinelle und händische Arbeitsschritte umfasste, um aus der Rohwolle hochwertige Garne für unterschiedliche Verwendungszwecke herzustellen.