Die Nordwolle & Kammgarn-Spinnerei in Delmenhorst war nicht nur ein bedeutendes Textilunternehmen, sondern auch ein Pionier in der Verwertung von Produktionsabfällen. Das Unternehmen entwickelte aus den Nebenprodukten der Wollverarbeitung eine beeindruckende Palette an chemischen Erzeugnissen, die von Industriefetten bis hin zu Kosmetikartikeln reichte. Diese Geschichte industrieller Innovation zeigt eindrucksvoll, wie aus vermeintlichen Abfallprodukten wertvolle Ressourcen gewonnen wurden.
Geschichtlicher Hintergrund
Die Nordwolle & Kammgarn-Spinnerei (NW&K) in Delmenhorst stellte nicht nur ein bedeutendes Industrieunternehmen dar, sondern zeichnete sich auch durch eine bemerkenswerte Innovationskraft aus. Von Beginn an verfolgte das Unternehmen einen ganzheitlichen Ansatz, bei dem Abfallprodukte der Wollverarbeitung als wertvolle Ressourcen betrachtet und weiterverarbeitet wurden. Diese Strategie führte zur Entwicklung spezialisierter Betriebsbereiche und zur Erschließung neuer Geschäftsfelder.
Das Kalihaus - Abfallverwertung von Anfang an
Bei der Gründung der NW&K war bereits vorgesehen, die bei der Wollverarbeitung anfallenden Nebenprodukte zu nutzen. Zu diesem Zweck wurde neben der Wollwäscherei das sogenannte Kalihaus errichtet. In diesem Betriebsteil fand ein bemerkenswerter Verwertungsprozess statt:
- Die Rohwolle wurde in der Wäscherei bis zur vollständigen Entfettung gereinigt
- Die dabei anfallenden Wollfette (auch als Wollschweiß bezeichnet) verblieben im Waschwasser
- Im Kalihaus wurde dieses Wollwaschwasser eingedampft
- Durch anschließendes Verkalken und Auslaugen der entstandenen sirupartigen Masse wurden die Kalium-Verbindungen gewonnen
- Diese Rückstände konnten zu Pottasche verarbeitet und verkauft werden
Die Fettfabrik - Spezialisierung der Produktion
Bereits seit 1886 existierte eine Fettfabrik in unmittelbarer Nähe des Hauptbetriebs. Mit der Ausweitung der Fabrikanlagen und zunehmender Spezialisierung bei der Verarbeitung der Abfallstoffe für medizinische und technische Zwecke errichtete die Firmenleitung 1896 eine „chemische Abteilung“ an der Hasberger Straße. Das Wollwaschwasser wurde über oberirdisch verlegte Rohrleitungen dorthin transportiert.
Die Produktpalette der chemischen Abteilung war vielfältig und umfasste:
- Rohwollfette – verwendbar als Schmierfette, Füll- und Gleitfette
- Wollfettsäuren – reich an freien Fettsäuren und daher geeignet für die Herstellung kostengünstiger Seifen sowie zum Einfetten von Zahnrädern
- Neutralwollfette – ausgezeichnet mischbar mit anderen Ölen und Fetten, nicht verharzend und nicht ranzend, daher geeignet als Lederfette, Abdichtungsmittel und Antriebsfette
- Lanolin (wasserhaltiges, gereinigtes Wollfett) – aufgrund seiner hautfreundlichen Eigenschaften besonders geeignet für Überfettungsseifen sowie kosmetische und pharmazeutische Präparate
Expansion und Diversifizierung
Die kontinuierliche Expansion des Unternehmens setzte sich 1905 fort, als die NW&K die Bremer Feinseifen- und Parfümfabrik Hoepner & Sohn übernahm. Ab 1907 wurde die chemische Abteilung als Tochtergesellschaft des Konzerns weiter ausgebaut. Dies führte zu einer erneuten Erweiterung der Produktpalette um:
- Feinseifen
- Kernseifen
- Industrieseifen
- Waschpulver
- Parfümerien
- Kosmetische Artikel (wie beispielsweise Zahnpasta)
Der Herstellungsprozess der Seifen
Für die Seifenherstellung wurden sowohl tierische als auch pflanzliche Fette verarbeitet. Der Produktionsprozess in der Seifensiederei umfasste mehrere Schritte:
- Die Fette wurden geschmolzen und mit Natronlauge vermischt
- Nach Eintreten der Verseifung ruhte die Mischung, damit sich die Unterlauge absetzen konnte
- Die abgelassene Unterlauge konnte zu Glyzerinseife weiterverarbeitet werden
- Der im Kessel verbliebene Seifenbrei wurde mehrfach mit Salzwasser aufgekocht, wobei jeweils die Unterlauge abfließen konnte
- Anschließend wurde die flüssige Seife abgepumpt und gekühlt
- Danach konnte sie zu verschiedenen Seifenprodukten weiterverarbeitet werden
Delespa - Die Marke im kollektiven Gedächtnis
Da für die Seifenproduktion bereits Duftstoffe benötigt wurden, war die Erweiterung des Sortiments um verschiedene Parfümsorten ein konsequenter Schritt. Die Firma passte sich den gestiegenen Konsumwünschen an und vermarktete Parfüms mit wohlklingenden Namen wie beispielsweise „Kiss me quick“.
Im Jahr 1925 erfolgte eine bedeutende Namensänderung: Die Seifen- und Parfümfabrik der Nordwolle firmierte fortan unter dem Namen „Delespa“, einem Kürzel für „Delmenhorster Seifen- und Parfüm-Werke“. Unter diesem Namen ist das Unternehmen den meisten Delmenhorstern in Erinnerung geblieben.
Gegenwart und Zukunft
Die „Delespa“-Werke existieren heute nicht mehr. Für das ehemalige Firmengelände ist die Entwicklung eines Wohn- und Kleingewerbegebiets vorgesehen, was den Wandel von der Industriegesellschaft zur modernen Dienstleistungs- und Wohngesellschaft symbolisiert.